Pop Art im Coverdesign – Interview mit Kuratorin Jennifer Liß

Ausstellungsansicht, BRITISH POP ART, 2019 © LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen

Seit April 2018 ist die Kunsthistorikerin Jennifer Liß nun schon als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen beschäftigt. Für die aktuelle Ausstellung BRITISH POP ART– Meisterwerke massenhaft aus der Sammlung Heinz Beck kuratierte sie den Plattencover-Bereich, der u.a. das 1967 erschienene Beatles-Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band in den Fokus nimmt. Eine Ikone der Musikgeschichte, im akustischen wie auch visuellen Sinne! Wie es zu dem Kultstatus kam, erklärt Kuratorin Jennifer Liß im Interview:

Peter Blake und Jann Haworth, Plattencover The Beatles zu Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, 1967 © Apple Corps. Ltd.

Wer ist eigentlich dieser Sergeant Pepper und wieso hat er einen Klub der einsamen Herzen gegründet?
 
Jennifer Liß: Nachdem die Beatles bis 1966 ständig auf Tour gewesen waren, entschlossen sie sich mit dem Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band zu einem Imagewandel. Weg von den netten Jungs mit den Pilzkopf-Frisuren, hin zu einer Band mit neuem Sound, tiefergehenden Lyrics und anderem musikalischem Anspruch. Imagewechsel waren zu dieser Zeit noch gar nicht so üblich, insofern war das ein mutiger Schritt. Und Sergeant Pepper diente ihnen dazu, ihre neue Identität zu formen. Eine fiktive Marschkapelle, in der viele Vorbilder, Stars und sogar Wachsfiguren der Beatles Platz fanden.


Ausstellungsansicht, BRITISH POP ART, 2019 © LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen

Ausstellungsansicht, BRITISH POP ART, 2019 © LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen

Von Karl Marx über Bob Dylan bis hin zum Guru Sri Paramahansa Yogananda – bei den „Klubmitgliedern“ handelt es sich um etwa 70 prominente Persönlichkeiten verschiedener Zeiten und Länder. Vorne, in unmittelbarer Nähe zu Marlon Brando, Oscar Wilde und Marlene Dietrich stehen die Beatles höchstpersönlich, gekleidet in bunten Militärkapellentrachten. Wie kam es zu dieser skurrilen Idee für das Plattencover? 
 
Jennifer Liß: Wer nun wirklich die Idee für diese Art der Umsetzung hatte, ist etwas umstritten. Aber die grundsätzliche Idee zu der neuen Alter-Ego-Band stammt von Paul McCartney. Als die Idee gestreut wurde, sich in eine neue, fiktive Band zu verwandeln, bekamen die Beatles von dem Galeristen Robert Fraser den Tipp, Pop-Art-Künstler Peter Blake zu beauftragen. Schließlich wurde daraus sogar noch eine Kooperation mit Jann Haworth, einer weiteren Künstlerin und damals Ehefrau Blakes. Zusammen schufen sie diese lebensgroße Assemblage aus Schaufensterpuppen und Pappaufstellern, denen die Gesichter berühmter Stars aufgeklebt wurden. Hinzu kamen einige Wachsfiguren aus Mme. Toussauds – auch ihre eigenen Abbilder wurden hinzugeholt und stehen in erster Reihe – sowie diverser Figuren, Alltagsgegenstände wie Fernseher oder Wasserpfeife oder der soft sculpture Granny von Jann Haworth. Mit Hyazinthen wurde schließlich vorne das Beet bepflanzt, damit es nach einem Park aussieht, in dem die Kapelle Rast macht. Das alles machte vor allem auch einen organisatorischen Aufwand: Wer sollte überhaupt Mitglied der Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band werden? Die Bandmitglieder, Blake und Fraser schrieben Listen mit ihren Wunschkandidaten. Die Abbildungen für die verschiedenen Berühmtheiten mussten nicht nur besorgt, vergrößert und montiert werden, sondern auch Bildrechte mussten eingeholt werden. Weil zum Beispiel Leo Gorcy eine Gebühr für die Nutzung seines Fotos verlangte, wurde er kurzerhand entfernt. Hitler, Gandhi oder Jesus galten als zu problematisch und wurden ebenfalls aus der Gruppe genommen. Alles in allem wurde also ein großer Aufwand betrieben, um dieses Albumcover zu gestalten. Dafür hat es sich jedoch gelohnt. Es wurde immer wieder rezipiert, parodiert und ist bis heute zum bekanntesten Cover von Peter Blake. Das Cover verbindet viele Pop-Art-Elemente wie den Starkult, die Anspielung auf die damals neuen Medien sowie die Kunsttechniken Collage und Assemblage.

Ausstellungsansicht, BRITISH POP ART, 2019 © LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen

Nur ein Jahr später veröffentlichen die Beatles ihr neuntes Studioalbum – bekannt als The White Album. Minimalistischer kann ein Design wohl kaum sein! Weißes Klappcover, ohne Albumtitel und ohne Foto der Band. Lediglich der farblose Prägedruck gibt einen Hinweis auf den Bandnamen. Auch diese Gestaltung geht zurück auf einen Künstler der Pop-Art-Szene: Richard Hamilton. In welchem Verhältnis steht das Design des Sgt.-Pepper’s-Albums und des White Albums zu der musikalischen Entwicklung der Beatles?
 
Jennifer Liß: Musikalisch betrachtet sollte es ja bereits mit Sgt. Pepper in eine neue Richtung gehen. Erstmals wurden zum Beispiel hier die Lyrics der Songs auf der Rückseite des Covers abgedruckt – das hatte es vorher nicht gegeben! Mit dem White Album wurde dann noch mehr Wert auf gute Lyrics und sinnhafte Songs gelegt. Es gibt politische Inhalte, es gibt Kritik und Selbstreflektion. Es geht weg von dem bunten Einerlei, das einfach nur viele Fans finden soll. Und so geht auch das Cover künstlerisch weg von dem Vorherigen. Nach der überbordenden Fülle des letzten Albums – was blieb noch übrig, um sich neu aufzustellen und abzusetzen? Doch nur die absolute Reduktion. Statt vieler Details und bunter Uniformen entschloss sich Hamilton dazu, alles Ablenkende auf die Innenseite zu verbannen. Dort gab es sie aber noch – die Porträts der Bandmitglieder oder eine Posterbeilage mit einer Collage von Fotos und Zeichnungen der Band. Diese wurde ebenfalls von Hamilton gestaltet, womit wir wieder bei der British Pop Art und ihrem liebsten Medium sind.


Der Ausstellungsraum zeigt insgesamt 15 Plattencover von verschiedenen Künstlern und Musikern. Pop Art und Pop Music gehen hier eine besondere Liaison miteinander ein. Einerseits entlehnen die Künstler ihre Motive der Populärkultur; andererseits wird das Kunstwerk, in Form des Plattencovers, massenhaft produziert. Kunst und Massenkultur durchdringen sich gegenseitig. Inwiefern verändert sich dadurch das allgemeine Kunstverständnis? Und welche Rolle spielt dabei der Käufer des Endproduktes?

Jennifer Liß: Zunächst wird die Kunst für jeden erschwinglich, denn jeder, der sich ein Exemplar des White Albums oder anderer von Künstlern gestalteter Platten kaufte, nahm ein Kunstwerk mit nach Hause. Es gibt hier keine Trennung mehr zwischen einer Schicht, die sich Kunst leisten kann, und einer, die keinen Zugang dazu bekommt. Sie wird massentauglich. Und dann bekommt der Käufer noch eine partizipative Rolle. So wie bei einigen Kunstwerken, in denen Teile ausgeschnitten werden sollen oder wie bei Joe Tilson’s Clip-O-Matic mit Wechselrahmen, können sie auch hier selbstständig mitwirken. Gerade Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band fällt hier auf. Jeder Käufer bekommt mit dem Album auch einen Ausschneidebogen, auf dem er Schnauzbart, Orden und Streifen für die Uniform heraustrennen kann. Mit ihrer Hilfe kann er selbst Teil der fiktiven Band werden und sich zu den Stars der Gruppe hinzugesellen. Damit wird der Käufer des Kunstwerks selbst Teil davon.

Ausstellungsansicht, BRITISH POP ART, 2019 © LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen
  





Die Ausstellung BRITISH POP ART – Meisterwerke massenhaft aus der Sammlung Heinz Beck. Special Guest: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band ist bis zum 12. Mai 2019 in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen zu sehen. Erstmalig konzipierte die LUDWIGGALERIE einen SOUND-WALK, der den Ausstellungsrundgang musikalisch begleitet. Die Geräte können gegen eine Gebühr von 3 Euro an der Kasse geliehen werden.

Die Fragen wurden gestellt von Natascha Kurek.



























 



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