„Risse im Stein“ - Ein Interview mit Lisa Kleinholz


Lisa Kleinholz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gedenkhalle Oberhausen. © LUDWIGGALERIE



Wofür steht die die Gedenkhalle Oberhausen?
Die Gedenkhalle Oberhausen ist der zentrale städtische Ort des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Sie wurde 1962 als erste westdeutsche Gedenkstätte eröffnet. Ergänzt wird sie durch das Denkmal Die Trauernde von Willy Meller, das sich vor der Gedenkhalle befindet. 2010 eröffnete die Dauerausstellung. Sie befasst sich mit der Geschichte der Stadt und der Zwangsarbeit in Oberhausen während der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945). Die Ausstellung und die Gedenkhalle dienen dem Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus und den Schrecken jener Zeit, zeichnen die Strukturen und die Verführungskraft des Regimes auf und verstehen sich so als Möglichkeit, die Wiederholung einer solchen Katastrophe zu verhindern. 


Wie kam es zur Wechselausstellung und dem Titel „Risse im Stein“?
Die Wechselausstellung „Risse im Stein“, die vom 18.06–15.12.2019 in der Gedenkhalle zu sehen ist, stellt Die Trauernde, ein zentrales Denkmal an die Opfer des Zweiten Weltkriegs, in den Fokus. Die Trauernde dient der Stadt als offizieller Gedenkort; zum Beispiel am Volkstrauertag. Diese Gedenktradition hat jedoch mit der Zeit „Risse“ bekommen. Kritische Stimmen merken an, dass der Erschaffer des Denkmals, Willy Meller, in den Nationalsozialismus verstrickt war und auch, dass das Opferverständnis des Werkes unzureichend sei. Die Wechselausstellung macht sich auf die Suche nach diesen „Rissen“ im Oberhausener Gedenken – mit Willy Meller und der Trauernden im Fokus.  


Die Trauernde vor der Gedenkhalle © LUDWIGGALERIE


 




















Seit wann befindet sich das zentrale Denkmal an diesem Standort?
Die Trauernde wurde am 2. September 1962 im Zuge des 100jährigen Stadtjubiläums gemeinsam mit der Gedenkhalle Oberhausen eingeweiht.

Warum entschied man sich für Die Trauernde?
Der sogenannte Saalbauausschuss, der mit der Organisation rund um die Schaffung eines zentralen Denkmals für die Opfer des Nationalsozialismus beauftragt war, schrieb einen Wettbewerb für das Denkmal aus. 43 Vorschläge wurden eingereicht und ein Preisgericht, zusammengesetzt unter anderem aus der damaligen Oberhausener Oberbürgermeisterin Luise Albertz, dem Oberstadtdirektor Peterssen und verschiedenen Künstlern wie Ewald Mataré, prämierten die Entwürfe. Sie vergaben keinen ersten Platz. Den zweiten Platz erhielt der Entwurf einer Dornenkrone von Julius Vietmann und Rudolf Skribbe. Warum dieser Entwurf nicht verwirklicht wurde, ist heute nicht mehr exakt nachzuvollziehen. Man vermutet Differenzen bezüglich der Größe und des Materials des Denkmals. Schlussendlich einigte sich der Ausschuss auf den Entwurf von Willy Meller, der den vierten Platz erreicht hatte. Von seiner künstlerischen Erfahrung erhoffte man sich eine reibungslose Umsetzung des Entwurfs.

Wer war Willy Meller?

Willy Meller (1887–1974), der mit vollständigem Namen Jakob Wilhelm Meller hieß, war ein Kölner Künstler, dessen Leben vor dem Hintergrund vier verschiedener politischer Regime zu sehen und zu verstehen ist. Während des Kaiserreichs absolvierte Meller eine Ausbildung zum Bildhauer in Köln und München. In der Weimarer Republik sammelte er erste Berufserfahrungen und während des Nationalsozialismus erlebte er seine künstlerische Blüte. Nach 1945 konnte Meller nicht an diese Erfolge anknüpfen, erhielt jedoch immer noch ausreichend Aufträge um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Er lebte bis zu seinem Tod 1974 in Rodenkirchen-Weiß bei Köln und war zweimal verheiratet. 



Eine Besucherin steht vor der Infotafel über Willy Mellers Biografie. © LUDWIGGALERIE

Wie positioniert sich Meller politisch in der Zeit des Nationalsozialismus?
Meller äußerte sich weder während, noch nach der Zeit des Nationalsozialismus deutlich zu seiner eigenen Positionierung. Seine Taten sprechen jedoch für sich. Meller trat 1937 in die NSDAP ein. Unterstützt von seinem Jugendfreund Clemens Klotz, dem Architekten der Reichsleitung für die Errichtung der Schulungsbauten der NSDAP und der DAF, erhielt Meller zwischen 1933 und 1945 zahlreiche offizielle Aufträge. Zu seinen bekanntesten Arbeiten aus dieser Zeit zählen sicherlich der sogenannte Fackelträger, den er für die nationalsozialistische Ordensburg Vogelsang schuf, und seine Arbeiten für das Olympiastadion in Berlin wie zum Beispiel die Deutsche Nike. Meller profitierte also künstlerisch vom NS-Regime. Dies wird umso deutlicher, als dass er am 20. April 1939, Adolf Hitlers 50. Geburtstag, zum Professor ernannt wurde. Zudem stand Meller auf der sogenannten „Gottbegnadeten-Liste.“ Die 1041 Künstler auf dieser 1944 erstellten Liste galten als so wichtig für das Regime, dass sie vom Kriegsdienst befreit wurden. Nach Kriegsende wurde er, bedingt durch „Persilscheine“, die ihm Freunde und Bekannte ausstellten, von den Alliierten nur als „Mitläufer“ eingestuft. Er beschwerte sich jedoch mehrfach über die schlechtere Auftragslage nach 1945 und schrieb in einem Brief, dass ihm die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus „zum Halse raushinge“. Bereitschaft zur Aufarbeitung des Regimes und seiner Verbrechen sieht sicherlich anders aus. 


Galt Die Trauernde den jüdischen Opfern oder den Opfern des Zweiten Weltkrieges?
Willy Mellers Trauernde lehnt sich an die christliche Darstellung der trauernden Maria um ihren toten Sohn Jesus, einer sogenannten Pietà, an. Sie ist deswegen als trauernde Mutter um ihren im Krieg gefallenen Sohn zu deuten. Hier war es sicherlich Mellers Intention, die deutschen Kriegsopfer, vor allem die gefallenen deutschen Soldaten, miteinzubeziehen. Selbst wenn man die Darstellung großzügig als trauernde Mutter um ihr Kind im Allgemeinen deutet, stellt sich die Frage, ob diese christliche Darstellungsweise nicht die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus ausschließt. Das Denkmal sollte als Erinnerungsort für die Opfer des Nationalsozialismus im Allgemeinen dienen, den Opfern „der Kriege, der Unfreiheit und der Vertreibung“, wie die Tafel vor der Trauernden aussagt. Ob Mellers Darstellung diese Kriterien erfüllt, darf aus heutiger Perspektive zumindest angezweifelt werden.

Wie hat sich die Kultur des Gedenkens in Oberhausen entwickelt?
Die Stadt Oberhausen schuf 1962 mit der Gedenkhalle die erste westdeutsche Gedenkstätte an die Opfer des Nationalsozialismus und etablierte damit sehr früh ein öffentliches Gedenken. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und bis in die 1970er Jahre hinein, war das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus jedoch immer an das Gedenken an die deutschen Opfer des Weltkrieges gedacht – gefallener Soldaten zusammen mit sechs Millionen ermordeter Juden. Dieses Gedenken war untrennbar miteinander verbunden. Dies änderte sich in den 1970er Jahren. Es entwickelte sich eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und vor allem der Shoa. In den 1980er Jahren wurden das Regime und seine Verbrechen zu einem zentralen Bezugspunkt der deutschen Politik und Erinnerungskultur. In den 1990er Jahren differenzierte sich das Opfergedenken weiter aus, sodass nun auch Mahnmale für die ermordeten Sinti und Roma, die Euthanasie-Opfer oder Homosexuelle errichtet wurden. 



Die Ausstellung bietet auch interaktive Informationsmöglichkeiten. © LUDWIGGALERIE

Warum jetzt diese Ausstellung?
Wie schon erwähnt, wurde die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus zu einem zentralen Bezugspunkt der deutschen Politik und Erinnerungskultur. Dieser Bezugspunkt muss sich heute neuen Herausforderungen stellen. Das Rechtsaußenspektrum fordert eine erinnerungspolitische Wende. Politik und Gesellschaft sollten, so die Meinung führender rechter Politiker, unter die Aufarbeitung der deutschen Verbrechen einen Schlussstrich ziehen und künftig nur die deutsche Nationalgeschichte glorifizieren. Vor diesem Hintergrund erschien es uns besonders wichtig, mit unserer Ausstellung auf die Geschichte und die Bedeutung des Erinnerns in Deutschland aufmerksam zu machen.

Wie positionieren sich heute die Bürger Oberhausens zu diesem Denkmal?
Auch heute noch gibt es zwiespältige Meinungen über Die Trauernde. Einige Oberhausener fordern, dass aufgrund von Mellers Vergangenheit keine Gedenkveranstaltungen dort mehr stattfinden sollen. Andere halten Mellers Werk für unkritischer und plädieren für einen Fortbestand der Tradition. Um das Meinungsbild der Oberhausener besser erfassen zu können, kann sich in der aktuellen Ausstellung mithilfe einer Online-Station über das Gedenken in Oberhausen und mögliche Verbesserungen geäußert werden. Die Besucher können ihre Meinung eingeben. Die Ergebnisse werden anonym ausgewertet.

Die Fragen an Lisa Kleinholz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkhalle Oberhausen, stellte Dagmar Winkler, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen.


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