"Sollen sie doch Kuchen essen!" -- Was uns Porzellanfiguren über die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts erzählen

In unserer aktuellen Ausstellung IT’S A PASSION! zeigen wir mit unseren Porzellanfiguren eine Vielzahl an kunsthistorischen Bezügen und thematischen Anknüpfungspunkten auf. Das sogenannte weiße Gold erzählt von einer vergangenen Zeit, in der die Ständeunterschiede deutlich sichtbar waren. 

So wird besonders an den bukolischen (https://de.wikipedia.org/wiki/Bukolische_Dichtung) Szenen deutlich, welch idealisierte Vorstellung der Adel vom Landleben hatte. Die Hinwendung des oberen Standes zu einer ländlichen Idylle, die nichts mit dem harten Arbeitsalltag der einfachen Bevölkerung zu tun hat, erinnert an die bizarre Fantasiewelt von Marie-Antoinette (1755 – 1793). Die französische Königin ließ im Park des Schlosses von Versailles das sogenannte Hameau de la Reine anlegen, ein künstliches Dorf, in dem sie der Hofetikette entfliehen und in ihre Vorstellung eines bäuerlichen Lebens eintauchen konnte. Ein ikonisches Bild ist das Porträt von Élisabeth Vigée-Le Brun (1755 – 1842) aus dem Jahr 1783, das Marie-Antoinette im schlichten Musselinkleid zeigt, welches später unter dem Begriff chemise à la reine popularisiert wurde. Auch dies verdeutlicht die Hinwendung zur Natur, zum Simplen, zum (vermeintlich) Friedlichen. 

Von Élisabeth Vigée-Lebrun - Sammlung von Ludwig von Hessen und bei Rhein, Schloss Wolfsgarten in Hessen., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=141783

Der Inszenierungscharakter erscheint heute lächerlich, ist aber wohl im Kontext der Zeit zu betrachten. Man denke nur an das Lever de la reine, das allmorgendliche Aufstehritual, dem sich Marie-Antoinette unterziehen musste. Die folgende Anekdote einer Kammerfrau Marie-Antoinettes zeigt die ganze Theatralik des höfischen Lebens:

„Das Lever der Königin vollzog sich analog dem Lever des Königs. Die Hofdame vom Dienst hatte das Recht, der Königin beim Ankleiden das Hemd zu reichen. Die Palastdame zog ihr den Unterrock und das Kleid an. Kam aber zufällig eine Prinzessin der königlichen Familie dazu, so stand dieser das Recht zu, der Königin das Hemd überzuwerfen. Einmal also war die Königin gerade von ihren Damen ganz ausgekleidet worden. Ihre Kammerfrau hielt das Hemd und hatte es soeben der Hofdame präsentiert, als die Herzogin von Orléans eintrat. Die Hofdame gab das Hemd der Kammerfrau zurück, die es gerade der Herzogin übergeben wollte, als die ranghöhere Gräfin von Provence dazukam. Nun wanderte das Hemd wieder zu der Kammerfrau zurück, und erst aus den Händen der Gräfin von Provence empfing es endlich die Königin. Sie hatte die ganze Zeit nackt, wie Gott sie geschaffen hat, dabeistehen und zusehen müssen, wie die Damen sich mit ihrem Hemd überkomplimentierten.“ – Madame Campan (zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Lever)

Wie fernab von der Realität die Fantasie der oberen Bevölkerungsschicht im 18. Jahrhundert ist, wird klar, wenn man die Figuren in unserer Ausstellung näher betrachtet. Die Gesichter der abgebildeten Berufsgruppen sind allesamt fein, zart, blass und dem Schönheitsideal entsprechend. Das Mädchen mit Butterfass umfasst den Schlegel derart geziert und elegant, dass dies kaum mit der schweißtreibenden und kräftezehrenden Arbeit des Butterstampfens in Verbindung gebracht werden kann. 

Der bekannte Ausspruch "Sollen sie doch Kuchen essen" als Antwort auf die Nahrungsnöte der Bevölkerung wurde Marie-Antoinette zwar fälschlicherweise in den Mund gelegt; dennoch ist er ein gutes Sinnbild für die Dekadenz des Adels und auch die tragische Ignoranz und Unwissenheit gegenüber der Lebensrealität von Arbeiter*innen. So erzählen uns die Figuren nicht nur Geschichten über vergangene Berufsgruppen, Stile und Porzellanverarbeitung, sondern sind auch Zeugen einer Gesellschaft, in der sich zwei Gruppen gegenüberstanden, faszinierten, sich jedoch kaum berührten. 


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