Wo sind die Grenzen des Humors? - Ein digitales Experiment

Die Corona-Krise hat das öffentliche Leben nahezu zum Stillstand gebracht - auch die LUDWIGGALERIE musste, wie alle anderen Museen in Deutschland, ihre Pforten schließen. Das hatte auch zur Folge, dass unsere geplanten Veranstaltungen nicht stattfinden konnten.
Wir wagten ein digitales Experiment und baten die Akteure, ihre Statements schriftlich oder hörbar zu verfassen. Jacques Tilly gab ein Audio-Statement ab, Christoph Müller und Thomas Holtbernd beantworteten unsere Fragen schriftlich. Die letzte Frage wird allen beantwortet.

Jacques Tilly
1963 geboren in Düsseldorf, beginnt 1983 beim Bau von Karnevalswagen mitzuarbeiten
1985 bis 1994 Studium des Kommunikationsdesigns an der Universität Gesamthochschule Essen, danach als freier Designer tätig und baut weiter Karnevalswagen

1998 Selbstständigkeit im Bereich Großplastikenbau
Seit 2005 ist Tilly der einzige Entwerfer der aus seiner Werkstatt kommenden Karnevalswagen
2007 Ehrenmitgliedschaft im Netzwerk für Kunst und Kultur in Düsseldorf und Köln 

2008 Klinzing-Plakette – die Plakette gilt als die höchste Auszeichnung, die der Düsseldorfer Karneval vergibt. 
Über die Jahre diverseste Auszeichnungen im Düsseldorfer Karneval
2017 Menschenrechtspreis von Amnesty International
2019 Auszeichnung für Zivilcourage des Heinrich Heine Kreis e. V.
2019 Kunstpreis der Düsseldorfer Jonges
Tilly ist Mitglied des Kuratoriums der evolutionärhumanistischen Giordano Bruno Stiftung




Thomas Holtbernd 
geboren 1959, studierte Katholische Theologie, Erziehungswissenschaften, Psychologie und Philosophie. 
Nach einer Zeit als Krankenhausseelsorger unterrichtete er an Krankenpflegeschulen sowie Fachseminaren für Altenpflege. Er machte eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten, hat eine psychologische Praxis, arbeitet als psychologischer Gutachter, moderiert seit vielen Jahren philosophische Cafés. Daneben hat er schon früh als Autor begonnen, zunächst waren es Gedichte, Kurzgeschichten und Rezensionen, dann Bücher zum Humor und weiteren Themen. Seine Artikel in Büchern und Zeitschriften kreisen um Themen wie Einsamkeit, Vertrauen, Haltung, Spiel, Lebensfreude u. a., die er vor allem aus der Perspektive einer phänomenologischen Philosophie heraus betrachtet. Bei allem steht die Heiterkeit als Lebenshaltung im Vordergrund.



Die Sprache von Tilly ist universell - sind Witze über Corona in Europa unterschiedlich?

Ob die Sprache von Tilly universell ist, da bin ich mir nicht so sicher. In vielen Ländern dieser Welt werden seine Karikaturen verstanden, das wird in der Ausstellung sehr deutlich. Der Humor oder die Witze sind in den Ländern Europas schon unterschiedlich, das zeigt sich an dem, was zum Beispiel die Deutschen hamstern, nämlich Klopapier und Nudeln, während die Franzosen Rotwein und Kondome einkaufen. Die Prägung einer Gesellschaft ist sehr tief. Wenn man zum Beispiel die Reisebeschreibungen von Michel Eyguem de Montaigne aus dem 16. Jahrhundert liest, ist man verwundert über die beschriebenen Eigenarten der Völker, sie scheinen immer noch zu stimmen. Richard Wiseman hat vor einigen Jahren eine internationale Internetstudie zu den Witzvorlieben gemacht und da ließen sich deutliche Unterschiede oder Vorlieben der Völker erkennen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Malediktologie, also die Schimpfwortforschung. Allerdings gleichen sich die Witze im Zeitalter von Internet und Globalisierung immer mehr an. Dagegen werden die Unterschiede zur Folklore gemacht oder einfach behauptet und zum running gag stilisiert, wie die „Feindschaft“ zwischen Düsseldorf und Köln.

Wann kippt Humor in Galgenhumor und Sarkasmus um?
Ich weiß gar nicht, ob Humor in Galgenhumor oder Sarkasmus umkippt, ich kann auch gleich damit anfangen. Es kommt auf die Situation an, in Krisenzeiten liegt es nahe, dass man einen Galgenhumor entwickelt. Sarkasmus würde ich bestimmten Persönlichkeitszügen zuordnen. Ich mag auch nicht den angeblichen Unterschied von gutem und schlechtem Humor. Es gibt einfach schlechte Witze und gute Witze, das ist aber keine moralische Bewertung, sondern ein ästhetisches Urteil. Und es gibt Witzeerzähler, die das Publikum nicht spüren und nicht darauf reagieren. Das lässt sich momentan sehr gut erleben, wenn Kabarettsendungen aus dem Homeoffice kommen. Ohne Publikum wirken die Pointen seltsam komisch. 

Machst du Witze über dich selbst und wie wichtig ist es, dass man auch mal Scherze über sich macht?
Die Witze über mich selbst, sind natürlich am schwersten. Mir ist klar, dass ich lediglich als nerviger Witzeerzähler gelten würde, wenn ich nicht auch über mich selbst lache. Selbstironie halte ich für wichtig. Für mich ist es auch ein Zeichen des Erwachsenseins, dass ich über mich scherzen kann. Es gibt ein wunderbares Gedicht von Wilhelm Busch, mit dem ich das gut erklären kann:

Die Selbstkritik hat viel für sich,
gesetzt den Fall, ich tadle mich,
So hab ich erstens den Gewinn,
dass ich so bescheiden bin;
Zum zweiten denken sich die Leut
Der Mann ist lauter Redlichkeit.
Auch schnapp` ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;
Und viertens hoff` ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Dass ich ein ganz famoses Haus.
 


Im Internet sind „Memes“ überall zu sehen, auch zum Thema Corona, Videos auf Kurzvideo-Plattformen wie TikTok oder auch auf Facebook behandeln das Thema auch größtenteils mit Witz. Ist das ein guter Weg, mit der Krise umzugehen? Inwieweit hilft das den Menschen psychisch, diese Krise zu bewältigen? Über welche Grenze darf man in diesem speziellen Fall nicht gehen?
Humor war immer schon ein guter Ratgeber in schwierigen und belastenden Situationen. Gerade die jetzige Situation zeigt, dass Humor den erzwungenen körperlichen Abstand zu anderen Menschen kompensieren kann. Es entsteht eine Brücke aus Lachen und Lächeln, die über die Tiefen unserer Ängste gespannt ist. Wer lacht ist für einen Augenblick abgelenkt und das ist eine Auszeit im Stress von Alleinsein, Angst vor Infektion und Befürchtungen über das Sterben anderer oder des eigenen Bedrohtseins. In Monty Pythons „Das Leben des Brian“ wird diese Kraft des Humors meines Erachtens wunderbar dargestellt. Jesus beziehungsweise Brian hängt am Kreuz und singt das Lied „I always look on the bright side of Life.“ Humor oder Witz sind ein Resilienzfaktor, sie stärken die Abwehrkräfte. Der Witz bricht das Grübeln ab, weil etwas nicht Erwartetes eintritt. Und in Krisenzeiten ist es schwer, sich dem Sog von neuen Nachrichten, Informationen über die Zustände in Krankenhäusern usw. zu entziehen. Mit dem Witz schaffe ich eine Unterbrechung. Grenzen des Witzes sehe ich erst einmal nicht, es mag mir nicht gefallen, zu platt zu sein oder zu makaber. Doch wenn ein Witz jemandem hilft, ein wenig Heiterkeit in den dunklen Alltag zu bringen, dann soll es das auch wert sein. Ein guter Witz zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass ein Gedanke karikiert wird, etwas so überzogen wird, dass ich in meinen festgefügten Meinungen und Anschauungen irritiert werde und mir meine Eingeschränktheit bewusster wird.


Christoph Müller
1970 geboren und aufgewachsen um und in Düsseldorf
seit 1989 Journalist: erst für regionale Redaktionen sowie konfessionell gebundene Agenturen und Zeitungen; seit Ende der 1990er Jahre für Fachzeitschriften in der Sozialpsychiatrie und in der psychiatrischen Pflege tätig
seit 2017 verantwortlicher Redakteur der Fachzeitschrift "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag); Redaktionsmitglied „Psychosoziale Umschau“ (Psychiatrie-Verlag), „Dr. med. Mabuse“ (Mabuse-Verlag), „Pflege Professionell“ (Facultas-Verlag)
seit 1990 psychiatrisch in der stationären Versorgung tätig; langjährige Erfahrungen in der Geronto-, der Allgemein-und der forensischen Psychiatrie in Deutschland, Österreich und in der Schweiz


Wo setzt du in deiner Arbeit als „Pfleger mit Humor“ deine Grenzen?
Wenn ich im pflegerischen Alltag den Humor und die Heiterkeit lebe, dann geht es für mich erst einmal um Chancen. Humor und Heiterkeit sind für mich unverzichtbar, um Beziehung zu stiften und Begegnung zu ermöglichen. Dies zeigt sich jeden Tag. Der flapsige Spruch im Vorbeilaufen sorgt für eine gute Atmosphäre zwischen dem Ich und dem Du. Diese positive Atmosphäre kann ich als Grundsteinlegung verstehen, damit sich der erkrankte Mensch und ich gemeinsam auf den Weg machen können. Wenn ich erkenne, dass ich einen ähnlichen Humor wie mein Gegenüber hat, so zeigt sich ja schnell eine Gemeinsamkeit.
Als jemand, der in Düsseldorf groß geworden ist und nun in Köln arbeitet, bediene ich natürlich oft den scheinbaren Konflikt zwischen den Menschen in der Domstadt und in der Landeshauptstadt. Oft frage ich die gebürtigen Kölner, ob sie eigentlich die Bahnhofskapelle am Kölner Rheinufer kennen. In der Regel sind sie irritiert, fragen mich sogar, wo denn die Kapelle zu finden sei, sie wüssten nicht davon. Dass ich sie daraufhin frage, ob sie denn die gotische Kathedrale (Kölner Dom) kennen, die den Bahnhofsvorplatz immer in den Schatten stellt, ist selbstverständlich. Natürlich muss ich aushalten, dass ich als „Drecksack“ bezeichnet werde. Doch das Wichtige ist, dass die Verbindung zwischen Menschen hergestellt ist. Da macht es dann Freude, die Antwort zu erwarten. Sie kommt auf jeden Fall. 
Grenzen gibt es für mich kaum. Wenn ich Humor und Heiterkeit in der pflegerischen Arbeit nutze, dann dürfen Witze oder schlagfertige Bemerkungen die Menschen nicht verletzen. Die Integrität der Person muss erhalten sein. Klar muss sein, dass die Nutzung von Humor und Heiterkeit grundsätzlich eine Gratwanderung bedeutet. Wenn die Seelen der Menschen aus der Balance geraten (diesen Bereich pflegerischer Versorgung kenne ich halt am besten), kommen wir an existentielle Erfahrungen. Existentiellen Erfahrungen muss man mit kräftigen Witzen begegnen. Witze und schlagfertige Bemerkungen bringen halt alles auf den Punkt.

Wie gehen deine Patienten selbst mit Humor um, bzgl. ihrer Erkrankungen?
Dies geschieht ganz unterschiedlich. Menschen haben einen individuellen Humor. Dies zeigt sich für mich jeden Tag. Und was die Menschen auch unterscheidet: die Bereitschaft und Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. Dem einen gelingt es, dem anderen nicht.
Seelische Erkrankungen sind erfahrungsgemäß mit einem spezifischen Lächeln und einem bestimmten Lachen in Verbindung zu bringen. Wenn ein depressiver Mensch lächelt, so wirkt dies auf jeden Fall gequält. Menschen mit einer manischen Symptomatik haben immer auch ein hämisches Lachen. Psychotiker wirken, wenn sie lächeln oder lachen, nicht ganz echt. Lächeln und Lachen müssen authentisch sein. So geht es den Betroffenen halt auch, glaube ich. Sie müssen sich wiederfinden, in dem, was sie tun und fühlen.
Wenn Heiterkeit und Humor auch in gesunden Zeiten eine Rolle im Leben der Betroffenen gespielt haben, so ist es auch in persönlich schwierigen Zeiten. Sie spüren, dass es ihnen besser geht, wenn sie wieder lächeln oder lachen können. Wenn sie dann mit schlagfertigen Bemerkungen oder gar Witzen um die Ecke kommen, sind sie auf dem Pfad der Genesung. Da bin ich sicher. Dies hat mir auch Willibert Pauels einmal berichtet, der als katholischer Diakon und Kabarettist auf den unterschiedlichen Bühnen steht, und vor Jahren seine eigene Depression öffentlich gemacht hat.

Im Internet sind „Memes“ überall zu sehen, auch zum Thema Corona, Videos auf Kurzvideo-Plattformen wie TikTok oder auch auf Facebook behandeln das Thema auch größtenteils mit Witz. Ist das ein guter Weg, mit der Krise umzugehen? Inwieweit hilft das den Menschen psychisch, diese Krise zu bewältigen?
Die Corona-Krise bringt uns kollektiv an den Rand. Menschen kommen an die eigenen Grenzen. Jetzt kommt es zu Situationen, denen die Einzelne, der Einzelne vielleicht oft aus dem Weg gehen will. Plötzlich sind wir in den Familien und Wohngemeinschaften aufeinander bezogen. Die Frage, die im Raum steht, ist: Halten wir uns gegenseitig aus?
An manchen Stellen gelingt uns dieses Aushalten, wenn wir dem Alltag eine Leichtigkeit geben. Am gemeinsamen Esstisch nehmen sich die Frauen, Männer und Kinder vielleicht gegenseitig auf den Arm. Ganz persönlich kann ich erzählen, dass in meinem privaten Leben die Offenheit für Witzigkeit und Humor wieder einmal zunimmt. Im beruflichen Alltag in der Klinik ist es anstrengend. Corona hat uns irgendwie im Griff, es gibt viel Verunsicherung. Die Betroffenen haben einen großen Redebedarf. Da wird das Leben schon schwer. Verlasse ich die Klinik, betrete ich eine Stadt in einem befremdenden Ausnahmezustand. Auch dies würde ich als schwierig beschreiben. Da muss ich in den eigenen vier Wänden eine Leichtigkeit empfinden. Ich glaube, dass dies anderen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ähnlich ergeht.
Heiterkeit und Humor können sicher den Jetzt-Zustand erleichtern. Für die Zukunft können Schlagfertigkeit und Witzigkeit zum Nachdenken anregen. Doch es bleibt entscheidend, welches Handeln sich individuell ergibt.



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