5 Fragen an Christoph Mueller

Last but not least: Wir beenden unsere kleine Interviewserie mit Christoph Mueller, dem bekannten Comiczeichner der Serie Mighty Millborough. Neben einer kleinen, bisher ungesehenen Sammlung dieser Serie, stellt er der LUDWIGGALERIE für das Ausstellungsprojekt „UNVERÖFFENTLICHT – Die Comicszene packt aus! Strips and Stories – von Wilhelm Busch bis Flix“ Ausschnitte aus seinen Werken Plaything und Callcenter Hero zur Verfügung, in denen er selbstreflexive und autobiografische Erfahrungen einfließen lässt.

 


Abb. Christoph Mueller, Mighty Millborough, 2019 © Christoph Mueller

 

Nathalie Schraven: Mit Mighty Millborough veröffentlichen Sie regelmäßig kurze Geschichten um den gleichnamigen Protagonisten, der auch als Ihr Alter Ego fungiert. Was macht für Sie den Reiz dieser wiederkehrenden Erzählungen aus?

 

Christoph Mueller: Die Figur The Mighty Millborough ist mein Werkzeug, mit dem ich seit neun Jahren das Medium Comic und mich selbst erforsche. Im Grunde ist er eine leicht abgeänderte Version meiner selbst, imaginiert als Comicfigur der 1920er, 1930er Jahre und ansässig in einem verschlafenen nordamerikanischen Städtchen in den Bergen des fiktiven Sassafras County. Das führt zwangsläufig zu autobiografischen Tendenzen, die sich unter anderem in Millboroughs grüblerischen Spaziergängen widerspiegeln, auf denen er dem existenziellen Schmerz des Seins nachgeht. Überhaupt scheint die Suche nach Erkenntnis und der Wunsch, einer tieferen Bedeutung auf die Schliche zu kommen, ein zentrales Thema dieser Arbeiten zu sein. Ich versuche mich diesen Themen immer sowohl inhaltlich als auch formal zu nähern und experimentiere mit den Möglichkeiten des Mediums. In meinen Millborough Geschichten spiegele ich also viel von dem, was mich persönlich auf dem Weg durch das Leben beschäftigt und das macht sicherlich einen zentralen Reiz an der Sache für mich aus. Ich bin aber auch grundsätzlich gerne in Sassafras County unterwegs und erforsche diesen Ort mit jedem Comic ein bisschen mehr. Das hat unter anderem so weit geführt, dass ich Millboroughs viktorianisches Anwesen, inklusive der näheren Nachbarschaft, als Diorama umgesetzt habe. Wahrscheinlich ist das schlussendlich alles nur Alltagsflucht. Aber mit der Realität hatte ich schon immer so meine Schwierigkeiten.  

 


Abb. Christoph Mueller, Callcenter Hero, 201312014 © Christoph Mueller

 

NaS: Gibt es bestimmte Comics oder KünstlerInnen, die für Sie von besonderer Bedeutung sind und warum?

 

CM: Über die Jahre gab es immer wieder bestimmte KünstlerInnen, die mich beeinflusst haben und die ich als eine Art Navigationshilfe genutzt habe. Der Erste war Morris, dessen Lucky Luke für mich als Kind sehr wichtig war. In den Alben habe ich das erste Mal den besonderen Zauber wahrgenommen, den nur das Medium Comic erzeugen kann. Morris hatte ein fantastisches Gespür dafür, wie man von Panel zu Panel erzählt, wie viel man zeichnen muss und vielleicht noch wichtiger, was man weglassen kann. Seine Linie war locker gesetzt und doch immer genau am rechten Fleck. Und er hat mit seinen visuellen Mitteln eine höchst glaubwürdige Welt geschaffen. Das war nicht Ligne claire oder École Marcinelle, sondern etwas ganz Eigenes. 
In meiner frühen Jugend habe ich dann die Skizzenbücher von Robert Crumb entdeckt und war tief beeindruckt. Rückblickend habe ich durch sie gelernt, dass man das Zeichnen nutzen kann, um sein Leben und die Welt um einen herum ein bisschen zu sortieren. Mit Stift und Skizzenbuch hatte ich das Gefühl, dem Leben nicht völlig hilflos ausgesetzt zu sein. Dieser im Grunde selbsttherapeutische Ansatz hat mich seitdem immer begleitet und ist bis heute zentrale Motivation hinter meiner Arbeit.
Mit 13 habe ich das erste Mal die Arbeiten von Chris Ware gesehen. Das war ein weiteres Schlüsselerlebnis für mich. Bei ihm hat mich sowohl die Ästhetik als auch die tiefe Ernsthaftigkeit seiner Geschichten angesprochen. Ich war tief davon beeindruckt, dass man mit einer Aneinanderreihung von Bildern so tiefe Emotionen wecken konnte. Kurze Zeit später habe ich das erste Mal „Maus“ von Art Spiegelman gelesen. Dass Comics nicht zwangsläufig lustig sein mussten, war eine sehr befreiende Erkenntnis für mich.  
Crumb, Ware und Spiegelman spielen aber auch über ihre Arbeiten hinaus eine wichtige Rolle für mich. Ich hatte das große Glück von ihnen über die Jahre immer wieder positives Feedback zu meinen Arbeiten bekommen zu haben. Das hat mir geholfen, an meinen Weg zu glauben und ihn weiter zu gehen. Auch dass ich heute zu allen ein freundschaftliches Verhältnis habe, bedeutet mir viel.

 

 

Abb. Christoph Mueller, Plaything, 2014-2017 © Christoph Mueller

 

NaS: Was hätten Sie gemacht, wenn Sie nicht Comiczeichner geworden wären?

 

CM: Das ist eine schwierige Frage. Für mich ist das Zeichnen immer die einzige Option gewesen und ich habe mich konsequent gegen jegliche Alternative entschieden. Mit 15 war ich davon überzeugt, Grafikdesigner werden zu wollen. Aber das waren die 90er, damals war Grafikdesign gefährlich und aufregend und ich ein Teenager. Als ich dann nach der Schule anfing, visuelle Kommunikation zu studieren, war ich schnell sehr desillusioniert und mir war klar, dass ich nicht in einer Agentur enden wollte. Seitdem bin ich im Grunde auf meinem Weg unterwegs.    

 

NaS: An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?

 

CM: Im Moment arbeite ich am dritten Millborough Band. Im Gegensatz zu den ersten beiden Büchern wird es sich diesmal nicht um lose aneinandergereihte Vignetten und Miniaturen handeln, sondern eine durchgehende Erzählung sein. Millborough bleibt seinen Themen aber treu und dringt, vielleicht tiefer als zuvor, in die Abgründe seiner selbst vor. Wann und wo das ganze erscheint, steht noch nicht fest, man kann aber sicherlich davon ausgehen, dass es wie meine anderen Bücher wieder als erstes in Frankreich zu haben sein wird.  

 


Abb. Christoph Mueller, Mighty Millborough, 2019 © Christoph Mueller

 

NaS: Was würden Sie jemanden raten, der heute ComiczeichnerIn werden möchte?

 

CM: Es ist leider fast unmöglich, vom Comiczeichnen allein zu leben, vor allem in Deutschland. Es ist also unabdingbar, eine Strategie zu finden, die einem auf der einen Seite genug Zeit zum Zeichnen und auf der anderen Seite genug Geld zum Leben bietet. Um mich finanziell so gerade über Wasser halten zu können, habe ich beispielsweise zwölf Jahre lang halbtags als Kellner gearbeitet bzw. in einem Callcenter gesessen und Marktforschungsumfragen gemacht. Das waren keine besonders sinnstiftenden Jobs, aber ich habe versucht, auch die irgendwie für meine künstlerische Arbeit zu nutzen. Beim Kellnern habe ich vor allem die Menschen studiert. Im Callcenter habe ich während der Arbeit dutzende Notizhefte mit Ideen und Skizzen gefüllt. Da sind unter anderem viele Ideen für meinen Millborough entstanden. 
Was die eigentliche Arbeit angeht, sollte man versuchen, auf seine eigene innere Stimme zu hören. Die ist je nachdem schon mal recht leise und kann sich vielleicht neben möglichen anderen inneren Stimmen, beispielsweise von Vorbildern, Kritikern oder der Gesellschaft allgemein nicht so recht durchsetzen. Aber dieser inneren Stimme über die Jahre immer näher zu kommen, ihr zu vertrauen und sie sprechen zu lassen, ist ein ganz wichtiger Teil des Weges. Horch nach innen, vertraue dir und hab Geduld.


Autorin: Nathalie Schraven

 

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