5 Fragen an Tina Brenneisen

Noch bis zum 16. Januar 2022 können wir Tina Brenneisens Comic “True Stories. Marie Luis erzählt” in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen bewundern. Im Comic entdeckt eine männliche Forschungsgruppe ein sagenumwobenes Wesen – die Frau. Kritisch und humorvoll thematisiert Brenneisen die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Dafür greift sie auf eine episodenhafte Handlung zurück, in der die Protagonistin Marie Luis den Männern fiktive Geschichten über die unterschiedlichsten Frauen, deren Leben und Errungenschaften erzählt. Aber auch in diesen erfundenen Realitäten lassen sich trotz der vielen Triumphe Schattenseiten im Alltag der Frauen nicht verbergen. Auch wenn die Geschichte noch nicht veröffentlicht ist, ist sie längst bereit, der Öffentlichkeit vorgestellt zu werden.

Die Berliner Comiczeichnerin ist Künstlerin und Verlegerin zugleich. Als Gründerin der Parallelallee, einem kleinen unabhängigen Verlag für Comics, bestimmt sie selbst über die Veröffentlichungen einiger Geschichten. Wir haben sie gefragt, welche Anforderungen sie sich zum Veröffentlichen setzt und welche KünstlerInnen eigentlich mehr Beachtung verdient hätten.


Abb. Tina Brenneisen, True Stories. Marie Luis erzählt, 2020 © Tina Brenneisen

Nathalie Schraven: Was kommt bei ihrer Arbeit zuerst? Wort oder Bild?

Tina Brenneisen: Das Wort. Meistens überlege ich mir erst, wenn der Text fertig ist, wie ich ihn stilistisch umsetze. Zum Beispiel arbeite ich momentan an einer Geschichte, die wie ein Theaterstück aufgebaut ist. Es gibt 15 Figuren, sehr viel Dialog, wenig Handlung, nur Innenraum als Setting und ein einziges Accessoire zum Spielen: ein Bett. Also habe ich entschieden, ohne Panels zu arbeiten und eher in losen Handlungsfeldern zu denken, die über die Sprechblasen zusammengehalten und strukturiert werden. Dadurch übernehmen die Sprechblasen selbst eine gewichtige dramaturgische, manchmal fast schon figurative Rolle, werden zu Wurfgeschossen, schlängeln durch die Gegend, je nachdem, was inhaltlich in den Dialogen passiert. Es ist anstrengender, ohne Panels zu arbeiten, passt aber gut zur Geschichte, in der es viel um aufeinanderprallende Meinungen geht.

NaS: Welche Kriterien haben sie sich zum Veröffentlichen gesetzt?

TB: Die Geschichte sollte gut sein. Und eine Geschichte ist für mich gut, wenn sie etwas in mir bewegt, mir eine neue Perspektive oder Sichtweise eröffnet, etwas zeigt, was ich so noch nicht gesehen oder gedacht habe. Ob das über die Bilder oder über den Text läuft, ist gleich. Bestenfalls natürlich über beides. Dass das aber schwer ist, weiß ich aus eigener Anschauung. Das Medium Comic ist sehr anspruchsvoll, weil es eben mit so viele Ebenen spielt und alle zum Zusammenklingen zu bringen, nicht leicht ist.

 

Abb. Tina Brenneisen, True Stories. Marie Luis erzählt, 2020 © Tina Brenneisen

NaS: Welche ZeichnerInnen verdienen mehr Aufmerksamkeit?

TB: Ich glaube, ComiczeichnerInnen insgesamt verdienen mehr Aufmerksamkeit. Wenn man bedenkt, wie schwierig die Arbeitsbedingungen in Deutschland sind. Comics gehören hierzulande nicht gerade zum Kulturgut (außer in Schloss Oberhausen) und anders als in Frankreich wartet hier niemand auf Comics. Gleichzeitig ist die Herstellung von Comics unglaublich zeitintensiv, die Buchproduktion kostspielig und für die meisten von uns trotz Berufung nur ein Nebenberuf. Konkret fällt mir die argentinische Comiczeichnerin Power Paola ein, die in ihrem Heimatland als die Ikone des lateinamerikanischen Comics gilt, in Deutschland aber noch weitestgehend unbekannt ist. Ihr Verleger Alejandro Bidegaray (Musaraña, Buenos Aires) nannte ihr Hauptwerk Virus Tropical und sie auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Fumetto Festivals in Luzern 2017 als „unsere ‚Maus‘, unsere Marjrane Satrapi“. Die Filmversion ihres Comics lief 2018 auf der Biennale. Deshalb werden wir gemeinsam mit der Übersetzerin Lea Hübner nächstes Jahr Power Paolas Virus Tropical in unserem Verlag Parallelallee herausbringen und dafür sorgen, dass sie die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient. 

Abb. Tina Brenneisen, True Stories. Marie Luis erzählt, 2020 © Tina Brenneisen

NaS: Eine Welt ohne Comic wäre für Sie…

TB: Vorstellbar, aber weniger schön.

NaS: Was würden Sie jemand raten, der heute Comiczeichner:in werden möchte?

TB: Dranbleiben, sich nicht entmutigen lassen, für einen Brotjob sorgen, sich in der wunderbaren Kultur des Selbermachens, der Fanzine-Kultur ausprobieren und das Medium als das betrachten, was es neben all den Schwierigkeiten auch ist: ein Raum großer Freiheit.


Autorin: Nathalie Schraven

 

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Oberhausen im Ruhrgebiet – Die Geschichte einer außergewöhnlichen Ruhrstadt

10 Fragen an Satomi Edo

„Risse im Stein“ - Ein Interview mit Lisa Kleinholz